Hoahne-Feier im Moselhaus Ürzig. Nach abgeschlossener Traubenlese feiert das „Regiment Deux Ponts“ zünftig. Foto: Armin Seibert
Hurra, wir leben noch! Feiern durch die Jahrhunderte im Freilichtmuseum
Vier muntere lebendige Geschichts-Gruppen auf Zeitreise vom 14. Jahrhundert bis in die Nachkriegszeit 1945
BAD SOBERNHEIM. Feiern durch die Jahrhunderte – klingt vielversprechend. Aber wie kaum anders zu erwarten, galt bei der „Living History“ Zeitreise im Rheinland-Pfälzischen Freilichtmuseum: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Vier History-Gruppen im Mosel-Eifel-Dorf und im Hunsrück-Nahe-Dorf mit über 30 zeitgenössisch gewandeten von weither angereisten lebendigen Mitmenschen aus alter Zeit erfüllten das Museum mit Leben.
Von Armin Seibert
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Weil dazu sonntags am ersten September-Wochenende noch die „alten Handwerker“ aktiv waren, freute sich das Museums-Team über tolle Publikums-Resonanz. Julia Diendorf, wissenschaftliche Museums-Mitarbeiterin und Koordinatorin des History-Festes, zog zusammen mit den für Gespräche und Fotos stets offenen „Darstellern“ ein rundum positives Fazit. „Schön, dass wir mit vier Gruppen die Zeiträume mit ihren Festen vom Mittelalter bis zur Nachkriegszeit so lebendig darstellen konnten“, resümiert sie.





Ein einzigartiger Spielplatz
Im Haus Zell-Merl lebte das Mittelalter auf. Die Gruppe „Mim“ (Mensch im Mittelalter) feiert gerade „Silber-Jubiläum“. Der Verein mit 28 Mitgliedern aus ganz Deutschland kommt gern zwei, drei Mal jährlich ins Nachtigallental, findet er doch hier einmalig in Deutschland einen „Spielplatz“ in einem Haus aus dem 14. Jahrhundert. Das Obergeschoss würde man gern noch ausbauen. Im Haus wurde zünftig getagt, aber zuvor auch „geschafft“. Das Team um Constantin von Bernuth zeigte, wie man einst Kerzen aus Bienenwachs oder Talg zog. Das gelang mit Hilfe einer Art Keramik-Simmertopf im großen Wasserkessel überm offenen Feuer. Es wurde gezeigt, wie Bücher vor der Verbreitung des Gutenberg-Drucks handschriftlich sorgsam vervielfältigt wurden. Und wie man sich – ehe mit den Fingern aus dem großen Topf gegessen wurde – sorgsam säuberte. Eine Schüssel mit Rosenblättern diente als „Waschbecken“. Sparsam träufelte sauberes Wasser über die Hände. Natürlich hätte man bei der munteren Truppe stundenlang verweilen können, um experimentelle über 600 Jahre alte Geschichte einzusaugen. Aber wie das beim Rundgang so ist: Weiter geht’s.
Leckere Regimentsküche
Im Mosel-Haus Ürzig hat wieder einmal die bunte Truppe „Lon & Solt 1760/1785 – Regiment Royal Deux Ponts“ aufgeschlagen. Da wurde zünftig gekocht, Besucher auf dem Weg angesprochen und mit etwas Pech „Dienst verpflichtet“. Schließlich war „Deux Ponts“ (Zweibücken) ein Regiment, das immer Nachwuchs brauchte – und wenn’s Kanonenfutter war. Satt nur zu füttern, gab es auch hier erst mal Arbeit am Herd. Für den herrlich duftenden Eintopf mit Fleisch und Kraut stellten sich die Teilnehmer in Reih und Glied an. Später gab es Kaffee und Kuchen zur „Hoahne-Feier“. Auch diese Gruppe hat Mitglieder aus ganz Deutschland. So macht Anja Hiebinger aus Frankfurt schon fast 30 Jahre mit, Heide Müller aus Essen ist auch schon lange dabei. Übernachtet wird bei solchen Festen im Obergeschoss. „Das haben wir vor zwei Jahren nach eigenen Plänen gestaltet und möbliert“, sagt Heide Müller. Auch für die vier Living-History-Gruppen war’s diesmal ein tolles Erlebnis, denn am Samstagabend saß man zusammen, aß mitgebrachte Leckereien, feierte, erzählte Jahrhundert-Geschichten.
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Hurra, wir leben noch
Dazu gehört leider auch der bis dahin schlimmste Krieg, die Nazizeit mit Millionen Toten und dem kargen Wiederbeginn. „Hurra, wir leben noch!“ Das war die zaghafte Dachzeile der Gruppe um Ursula Ninfa und Markus Berberich, die die Mangeljahre von 1945 bis 1949 im Schusterhaus Wallhausen im Hunsrück-Nahe-Dorf lebendig werden ließen. Mangelwirtschaft in jeder Beziehung zeigte die Gruppe, die eigentlich im Rohscheider Hof (bei Trier) zu Hause ist. Sie begrüßen wie Julia Diendorf die fruchtbare Kooperation der Museen, loben das gute Miteinander. Das war in der Aufbauphase des Freilichtmuseums vor 50 Jahren nicht selbstverständlich – man war eher in Konkurrenz statt in Freundschaft verbunden.
Gummiplätzchen auf der Felge
So war’s wohl auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Futterneid war üblich, aber man half sich auch. So wurde sprichwörtlich Flickwerk gezeigt, aus Alt mach neu – heute würde man es Transformation nennen. Was tun, wenn weder Mantel noch Schlauch für Fahrradreifen da sind. Aus alten Autoreifen wurden am Schraubstock mit einer Art Plätzchen-Förmchen „ausgestochen“ und auf die Felge gequetscht. Flickwerk, aber immer noch besser als auf der Felge geklappert. Alte Wehrmachtskleider wollte und durfte ja auch niemand tragen. Also aufgerubbelt und wenn’s geht was Neues draus gestrickt. Zum Beispiel wärmende „Ärmlinge“ Von Zentralheizung konnte man nur träumen. Fürs Essen galt das Gleiche: Graupensuppe, Milchreis oder Dippekuche gab’s in kleinen Portionen. Wenn genügend Zwetschgen in der Gemarkung wuchs, wurde geduldig Latwerge gekocht. Zehn Stunden hielt Ursula Ninfa das Herdfeuer am Kochen, rührte im „Latwersch-Topf“ bei sommerlichen fast 30 Grad draußen. Aber wie gesagt: Hauptsache, der Ranzen spannt, Hurra, wir leben noch. Da halfen auch die „Care-Pakete“, deren Inhalt gezeigt wurde: Meist nahrhafte US-Büchsenkost.
Ein donnerndes Hurra auf den Kaiser
Ein anderes „Hurra“ war ein paar Meter weiter im Tanzsaal Winterburg und im Haus Rapperath zu hören. Kaiserzeit um 1900 war angesagt. Die Untertanen hatten damals gehorsam zu funktionieren. Man war zwar satt und optimistisch (Deutschland vor, noch ein Tor… im Sinne der Torheit und Kanonenboot-Politik). Aber es wurde auch hier gespart. Wie die Herren gingen auch die Damen bei der Hochzeit in „Schwarz“, das Kleid taugte auch für Beerdigungen. Weiße Brautkleider gab es noch nicht. Dafür Vorschriften ohne Ende – alles wurde abgestempelt und genehmigt, oder eben nicht. Immerhin gab es satt zu essen. Die Living-History-Gruppe, die auch über Fotografie oder Kräuter- und Gartenkunde informierte, hatte diesmal leckeren Wildsaubraten in der Röhre. Schließlich gab’s was zu feiern. Am Samstag feierten zwei Paare eine „echte Hochzeit“ im Museum, erfüllten das historische Häuser-Ensemble zusätzlich mit Leben.
Generationenkonflikt statt Puppen
Für viele Besucher gilt das Motto: Lieber quirliges Leben in alten Gemäuern, statt weitere Gebäude zu errichten, für deren „Betrieb“ stilechte Ehrenamtliche fehlen. Dennoch geht’s in der Planung konsequent weiter. Julia Diendorf informiert, dass im Pfalz-Rheinhessen-Dorf die 50er bis 70er-Jahre Einzug halten sollen. Im Haus Neudorf soll die Puppenausstellung weichen und der Generationenkonflikt einziehen. Ja, es waren Konflikte, als kleine Bauernhöfe im Dorf zu machten und Aussiedlerhöfe zu Alternativen wurden. Wachsen oder weichen? war für viele Bauern die Gretchenfrage. Häuser aus den 50er oder 60er Jahren gibt’s in der Region nicht, wenn doch wären sie teuer. Wenn man gewusst hätte, dass im Freilichtmuseum einmal Häuser aus Rehbach, Pferdsfeld oder Eckweiler „gebraucht“ würden. Wer dachte schon, dass 20 Jahre nach dem Einzug der donnernden Phantom-Jets und Abriss-Birnen auf dem Nato-Flugplatz mit der Ost-Erweiterung und Fly-Off 1995 wieder Stille herrscht. So schnelllebig kann Geschichte sein.
Es kräht kein Hahn mehr danach
Fast so schnell wie die Feier nach der anstrengenden Traubenlese. Erst schweißtreibende Arbeit, dann fröhliche Abschlussfeier. An der Nahe heißt das „Stockfest“, an der Mosel „Hoahne-Feier“ wie am Haus Ürzig zelebriert. Ehe er die Traube vom Stock schnitt, rief der „Hoahne“ an der Mosel laut Kikeriki, stimmte ein Lied an, und mit Tanz und Musik wurde im Winzerhof gefeiert. Auch der Herr Pastor, der das Krähen in der Predigt verboten hatte, feierte mit. Es krähte tags drauf sprichwörtlich kein Hahn danach. So wie beim Feiern durch die Jahrhunderte heute vielen kaum klar ist, dass die „gute alte Zeit“ meist gnadenlose Mangelwirtschaft war. Umso wichtiger ist die lebendige Veranstaltungsreihe zum 50. Museumsgeburtstag – auch für die meist nur theoretisch mit Informationen überhäufte Jugend.




