Eine Partie „Mensch ärgere Dich nicht” vor der Haustür geht für Reinhold Ludwig (links) einfach immer. Die beiden Schwestern Nicole Schinkel (Mitte) und Michaela Nagel leiten die Senioren-Wohngemeinschaft „Vergiss mein nicht“ im Alten Weg, die von ihrem Vater Helmut gegründet wurde. Für sie und ihre Bewohner ist die WG längst eine Familie geworden. Foto: Enrico Angelucci
Senioren-WG in Bad Sobernheim: Der Mensch ist für die Einsamkeit nicht gemacht
Bad Sobernheim. Reinhold Ludwig atmet erleichtert aus, wenn er sich in der Senioren-Wohngemeinschaft „Vergiss mein nicht“ im Alten Weg umsieht. „Am Anfang kann man mit der Stille noch gut leben. Man ist sich ihrer nicht bewusst. Aber über die Jahre wurde es unaushaltbar“, beschreibt der Mittfünfziger seine damals aufkeimende Einsamkeit in seiner alten Wohnung. Ludwig leidet an COPD,einer dauerhaft atemwegsverengenden Lungenerkrankung. Im Treppenhaus seiner Wohnung war er zusammengebrochen und lag hilflos auf dem Boden, konnte niemanden anrufen. „Da kriegen sie langsam Angst. Ich dachte: So möchte ich nicht abtreten – verrecken im kalten dunklen Treppenhaus“, beschreibt er unverblümt offen den Moment, als ihm die Einsicht kam, dass es so nicht weiter gehen könnte. Familienangehörige hat er nicht mehr, der Freundeskreis löste sich nach und nach auf.
Nackenmassage inklusive
Im Oktober 2018 zog er in die Wohngemeinschaft, fand mit den vier anderen Bewohnern neue Freunde und genießt gerne auch mal eine Nackenmassage von Nicole Schinkel. Die gelernte Arzthelferin leitet die WG mit ihrer Schwester Michaela Nagel. „Ich finde so etwas ist noch wichtiger als alles andere – die menschliche Nähe“, unterstreicht der ehemalige Informatiker Reinhold Ludwig die Zuwendungen. Als die Großmutter des WG-Gründers Helmut Miesemer, einem examinierten Krankenpfleger, pflegebedürftig wurde, suchte die Familie nach einem Konzept jenseits der Seniorenresidenzen. „Dort ist das Zeitenkorsett einfach enger“, erklärt Nicole Schinkel.
Nach Meinung von Reinhold Ludwig kann in einer WG schneller auf die Bedürfnisse und das Wohlbefinden der Menschen eingegangen werden. „Das Personal der Residenzen kann ja nichts dafür. Aber bei einer solchen Anzahl an Pflegebedürftigen, ist das wie am Fließband“, ist sich Reinhold Ludwig sicher am für ihn besser geeigneten Ort zu sein. Wenn Reinhold Ludwig im Gemeinschaftsraum der Senioren-WG mit seinen Mitbewohnern oder den beiden leitenden Schwestern lacht, ist die Einsamkeit plötzlich in weiter Ferne. „Ich habe die goldene Karte gezogen mit dieser WG. Da kann auch keiner dran rütteln – das war der Jackpot!“, unterstreicht er.
Das Zimmer von Reinhold Ludwig in seiner Senioren-WG ist individuell eingerichtet. In der Regel verfügt jeder über sein eigenes. Nach gemeinsamen Spielen am Nachmittag gestalten die Bewohner den Abend völlig individuell nach eignen Vorlieben. Die beiden Schwestern samt Mutter als Angestellte, sorgen mit drei Aushilfskräften auf Minijob-Basis und einem Ehrenamtlichen für einen runden Alltag. Zufrieden blickt Ludwig auf das plätschernde Aquarium neben der Eingangstür. Eine bauliche Erweiterung der WG vom Osten her ist bereits in Arbeit. „Als ich hierherkam, habe ich mich nicht so gefühlt, dass ich irgendwo weg bin. Ich bin wo angekommen, ich bin zurückgekommen ins Leben“, sinniert Ludwig und blickt zu Nicole Schinkel. Beide werden sich hörbar wieder einmal bewusst: „Wir sind hier eine Familie geworden.“