Günther Meise drechselt. Foto: Armin Seibert.
Das Museum lebt: Handwerkertag im Rheinland-Pfälzischen Freilichtmuseum
Handwerkerschau weckt Mitmach-Wünsche und zeigt, wie hart unsere Vorfahren für kleine Dinge des Alltags schaffen mussten
BAD SOBERNHEIM. Beim Handwerkertag im Rheinland-Pfälzischen Freilichtmuseum können Groß und Klein, Alt und Jung sprichwörtlich etwas erleben. Kita-Kinder und ihre Großeltern gleichermaßen. Wenn aus einem Klumpen Ton eine zierliche Vase, aus einem alten Eichenbalkenstück ein gedrechseltes Döschen, aus rohem Eisen ein feines Herz, aus dünnem Blech ein Trichter oder aus buntem Garn ein Küchenhandtuch wird, dann gibt reine Handarbeit Alltagsdingen einen wirklichen Wert.
Von Armin Seibert

Artikel, die im Discount oft wenige Cent kosten, müssten bei „fairen Löhnen“ für die Könner Hunderte Euro kosten – ein Küchenhandtuch nach dreistündiger konzentrierter Webarbeit locker 80 Euro, ein Blechtrichter aus der Spenglerwerkstatt 170 Euro. Von wegen also gute alte Zeit. Die Dinge des täglichen Bedarfs hatten für ihre Nutzer – unsere Vorfahren – nicht nur einen hohen Gebrauchswert, sie waren lieb und teuer. Das „hand-werkliche“ Können ruft bei Senioren Jugenderinnerungen wach, weckt beim Nachwuchs hoffentlich Bastelgedanken.
Beim Handwerkstag stets am 1. Sonntag im Monat, werden im Nachtigallental Grundlagen vermittelt und nebenbei gezeigt, wie sich in Kaisers Zeiten (Sobernheim war preußisch) die Verwaltung verwaltete oder wie Uroma für die Großfamilie kochte. Rainer Ackermann aus Bedburg bei Köln, im richtigen Leben IT-Fachmann, befasst sich im Museums-Postamt intensiv mit dem Wust von Vorschriften (Spezialgebiet:1871 bis 1929) und kann preußisch korrekt aber mit Augenzwinkern hervorragend vermitteln, wie es damals war. Wie es abgelaufen sein könnte, wenn ein „Untertan“ im Jahr 1905 um einen Passierschein ersuchte. Name, Vorname, Geburtstag, was ist das Begehr?




Asterix lässt grüßen
Ackermann stellt dann dem Chronisten den Passierschein A 38 aus. Asterixfreunde ahnen es: Der Schein führt ins Haus, das Verrückte macht aus „Asterix erobert Rom“. Ackermann kam spaßeshalber zu seinem Hobby, stellte einem ahnungslosen Amerikaner beim Zeitreisefest in Jülich per Hand einen Passierschein aus, als dieser zur Toilette musste. Der Gag kam an, rund 40 „Nachahmer“ wollten den damals handgeschriebenen Schein. Die Vorlage für den Schein, den der Antragsteller per Fingerabdruck unterschreiben muss, war geboren. Sieben Stempel drückt Ackermann auf den A-6-Schein, der den Inhaber (also mich) berechtigt, hier im Museum als „Reisezweck“ eine historische Berichterstattung inclusive photographischer Dokumentation zu unternehmen. Asterix hätte den Kopf geschüttelt und Obelix kommentiert: Die spinnen, die Preußen. Also auch hier: Uroma und Uropa hatten es oft schwer in der guten alten Zeit, in der Bayern und Hessen um die Ecke und Zollkontrollen allgegenwärtig waren. Der Opa von US-Präsident und Zoll-Imperator Donald Trump wohnte noch im knapp 100 Kilometer entfernten pfälzischen Kallstadt. Fritz Trump wanderte 1885, vor 140 Jahren nach New York aus.
Verführerischer Küchenduft
Nebenan beim Fotografen Joshua Lohwasser (Lauterecken-Wolfstein) gelingt ein Zeitsprung. Frisch entwickelte Schwarz-Weiß-Bilder hängen zum Trocknen geklammert auf der Leine. Das war auch in der Redaktion des Öffentlichen Anzeigers in Bad Sobernheim im ehrwürdigen „Russischen Hof“ vor 30 Jahren gelebte Praxis. Dann machte das Digital-Zeitalter die Labor-Chemie überflüssig, Smartphones liefern alles aus einer Hand in Top-Qualität oder vermitteln zumindest den Eindruck, als könnte jeder, der Datenmengen produziert, auch fotografieren. In der Küche im Haus Rapperath vermittelt indes ein verführerischer Geruch handfeste Gegenwart: Auf Omas holzbeheiztem Herd köchelt Mittagessen. Knödel, Sauerkraut, Fleischknödel. Kleiner Nachteil: Auch im Hochsommer muss der Herd geheizt werden – ohne Feuer konnte Oma nicht kochen. Da sind Köchin Sarah Lohwasser und die „Living History-Gruppe“ froh, dass der Sommer nicht wie kürzlich beim Handwerkertag mit 37 Grad noch von draußen einheizt.
Alter Balken wird zur filigranen Schale
In der Scheune Daubach fliegen derweil die Holzspäne. Günter Meise (aus Bingen) hat die elektrische Drechselbank angeworfen, setzt den scharfen Beitel an und höhlt aus einem rasant rotierenden alten Eichenbalkenstück unter Höllenärm aus und macht eine schmucke Dose draus. Drechsler war Meise noch nie. Als Rentner hat der frühere Kaufmann viel Zeit, die er sinnvoll nutzen will. Etwas im Ehrenamt im Museum. Nach der Hochwasserkatastrophe engagierte sich Meise im Ahrtal, findet Gefallen an der Arbeit mit Holz. Er kauft sich für den Hausgebrauch eine Drechselbank und macht seit 2024 im Museum mit. Dort sind seit 2024 auch zwei Schwestern aus Riedstadt (bei Darmstadt) aktiv. Anette erfuhr bei einem Museumsbesuch, dass ehrenamtliche Textil-Fachleute gesucht werden, kurzentschlossen bewarb sich Hobby-Weberin Sybille Stern, brachte ihren eigenen Webstuhl von zu Hause mit. Sie zeigt zusammen mit ihrer Schwester und „Assistentin“ im ersten Stock im Haus Weinsheim am Handwerkertag wie aus ein paar Garnrollen mit Geduld und Konzentration beispielsweise Karo-Stoffe für Küchenhandtücher oder schmucke Taschen werden. Im Erdgeschoss wird vermittelt, wie aus Wolle verwertbare Fäden werden und was man als Grundstoff alles verwenden kann. Nicht nur Schafe liefern Wolle. Auch Hunde können das. Wie wäre es mit einem Pullover aus Pudelwolle? Nicht jeder fühlt sich vielleicht darin pudelwohl.
Auf den Trichter gekommen
Nebenan hämmert Spengler Dieter Arnold aus dünnem Blech einen Trichter. Das dauert. Fingerspitzengefühl und Geduld sind nötig und eine überraschend große Werkzeugauswahl. Die hat Arnold aus Worms mitgebracht – darunter über 500 Jahre alte Sperreisen mit unterschiedlichem Durchmesser, um darauf wie auf einem Ambos die Trichtertülle zu hämmern. In den oberen Rand wird ein starker Draht eingezogen, damit sich das Schmuckstück nicht bei jeder Nutzung verbiegt. Was so ein Blechtrichter kosten würde bei heutigen Handwerkerlöhnen? Schwer zu sagen. Knapp 200 Euro vielleicht. Dafür gäbe es im „EuroShop“ hunderte farbenfrohe Plastik-Trichter.
Studierte Keramikerin lehrt töpfern
Ähnliche Vergleiche kennt auch Andrea Friedel (Callbach) in der Töpferwerkstatt im Haus Mecking. Friedel ist Fachfrau, gelernte und studierte Keramikerin, die nach vielen beruflichen Stationen in der ganzen Republik im vergangenen Jahr die Werkstatt in der Töpferei Mecking betreibt. Wie aus einem Klumpen Ton eine Vase oder gar ein über offenem Feuer nutzbarer Dreibein-Kochtopf wird, das vermittelt Fachfrau Friedel anschaulich und geduldig. Sie lässt aus der rotierenden Scheibe Kunstwerke wachsen, experimentiert mit verschiedenen Ton-Qualitäten, hat Dutzende individuell gefertigte Exponate zum Trocknen aufgestellt. Bei Gelegenheit wird dann gebrannt. Erst langsam über 400, 600 und bis zu 1200 Grad.
Solche Temperaturen sind in der Schmiede, in der Volker Priewe (Nussbach) den Hammer schwingt, ideal, um rotglühendes Eisen bearbeiten zu können. Priewe hat diesmal eher kleinere Werkstücke im Programm – Kleiderhaken, Herzen, Hufeisen. Für das Ehrenamtsteam schmiedet er einige „Auftragsarbeiten“. Für die Eisenherzen und Hufeisen, die gern mit initialen versehen werden können, hat seine Frau Taranee Priewe zu Hause die Vorbereitungen getroffen und Eisenrohlinge portioniert. „Das macht viel Spaß,“ sagt Taranee Priewe und zeigt Interessenten die feinen und doch zeitlos-eisernen Museumsstücke.
Lust aufs handfeste Ehrenamt
Schmied Priewe hat diesmal Assistent und Schmiede-Eleve Andreas Fuchs aus Braubach an seiner Seite. Fuchs will das auch lernen. Als Werkzeugmacher verfügt er über Grundkenntnisse. Doch auch im fortgeschrittenen Alter gilt: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Wie Andreas Fuchs oder Günther Meise können im Museum immer wieder Interessenten eine für sie neue Betätigung finden, im Ehrenamtsteam mitmischen. Die ein oder andere Praktikantenstelle ist sicher noch frei und die weiten Anreisen der Ehrenamtler von Köln bis Darmstadt beweisen, das rheinland-pfälzische Museum wirkt weit übers Sobernheimer Nachtigallental hinaus. Ein Rundgang beim Handwerkertag zeigt: Das Museum lebt und ist weit mehr als eine 50-jährige historische Sammlung.
Handwerk erleben im Freilichtmuseum
Wann?
Jeden ersten Sonntag im Monat
Wo?
Baugruppe Hunsrück-Nahe im Freilichtmuseum Bad Sobernheim
Was erwartet die Besucher?
Vorführungen historischer Handwerkstechniken
Einblicke in traditionelle Werkstätten
Austausch mit Handwerkern vor Ort
Ihr Einstieg ins Online-Marketing: Werben auf nahe-dran.de