Wo kommt der Dialekt an der Nahe eigentlich her?

NAHE. Sprachwissenschaftlich zeigen sich im Dialekt an der Nahe verschiedene Einflüsse. Nahe dran-Autor Joachim Franzmann hat sich mit den vielfältigen Facetten der Mundart in der Region befasst.
Laut einer Umfrage kann jeder zweite Deutsche Dialekt sprechen, wobei sich allerdings ein klares Nord-Süd-Gefälle feststellen lässt. So wird im Süden weitaus mehr „Platt“ gesprochen als im Norden. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit haben Sprachwissenschaftler die einzelnen Mundarten in großen Gruppen zusammengefasst. Je nach Einordnung zählt man so etwa zwanzig verschiedene Dialektverbände. Die Mundart, die bei uns an der Nahe gesprochen wird, rechnet man ebenso wie das Pfälzische, Südhessische und Rheinhessische zum Rheinfränkischen Dialekt. Das Rheinfränkische, wird vom Mittelfränkischen Dialekt, zu dem auch das Moselfränkische in unserer Nachbarschaft zählt, durch die sogenannte das-dat Linie (St.Goarer Linie) abgegrenzt. Diese verläuft nördlich von Völklingen zur mittleren Nahe, von dort quer über den Hunsrück bis nach St. Goar. Da die Grenzen allerdings nicht immer eindeutig und zum Teil fließend sind, findet man in unserem Dialekt auch immer wieder Einflüsse des Moselfränkischen.
Die Mundart an der Nahe – von Ort zu Ort verschieden
Unsere Mundart, das „Platt“, ist äußerst vielfältig und unterscheidet sich zum Teil von Ortschaft zu Ortschaft. Als Beispiel sei hier die Stachelbeere genannt, die man Droschele, Druschele, Treeschele, Gruschele oder auch Groschele nennt. Mein Heimatdorf Pferdsfeld, der wegen des nahegelegenen Natoflughafens ausgesiedelt und abgerissen wurde, lag nur einen Kilometer von Eckweiler entfernt. An das ebenfalls umgesiedelte Nachbardorf erinnert heute noch die denkmalgeschützte „Kirche ohne Dorf“. Obwohl beide Dörfer so eng beieinander lagen, unterschieden sich ihr „Platt“. So sagte man in Pferdsfeld Hei, A°ijer und Holz, während man in Eckweiler von Hau, E°ijer und Hulz redete.
Im Laufe der Geschichte wurde unsere Region immer wieder von französischen Truppen besetzt. Zudem trieb man seit Urzeiten Handel mit der nahegelegenen Grenzregion. So wurde unser Dialekt auch von der französischen Sprache beeinflusst. Wörter wie eschdemeere (empören), retour (zurück), Trottoir, Chesselong, Schosse (Straße), Fissematente, Schandarm und Portmanne nahmen Einzug in unsere Sprache. Einige von ihnen aber sind im heutigen Sprachgebrauch in Vergessenheit geraten.
Dialektsprecher: intelligent und symphatisch?
Dialekt ist wie jede andere Sprache stetigem Wandel unterworfen. So findet man Menschen, die das reine Dialekt ihres Heimatortes sprechen, nur noch selten. Früher lebte man in den Orten eher in geschlossenen Gesellschaften mit weniger Einflüssen von außen. Die gesteigerte Mobilität, der Aufschwung von Radio, Fernsehen und digitalen Medien sowie andere gesellschaftliche Einflüsse aber drängen die Mundart zurück oder sorgen für ihre Vermischung. Daher ist es meines Erachtens besonders wichtig, Dialekte zu erhalten, sind sie doch Muttersprache im ursprünglichen Sinne und beinhalten zum Teil Ausdrücke, die man im Hochdeutschen nicht findet.
Leider werden, wie empirische Untersuchungen nachgewiesen haben, Dialektsprecher als weniger intelligent empfunden. Zwar wirken sie sympathisch. Man assoziiert ihre Sprechweise mit Freundlichkeit und Wärme, mit dem Hochdeutschen allerdings verbindet man Kompetenz und Intelligen (nach Albrecht Plewnia, Leibniz-Institut für Deutsche Sprache Mannheim). Einige Eltern meinen daher heute, sie müssten ihre Kinder „hochdeutsch“ erziehen, um sie vor Nachteilen beim Intelligenzwachstum und beim Schriftspracherwerb zu schützen. Allerdings ist es noch niemandem gelungen, einen Zusammenhang zwischen Intelligenzwachstum und Hochdeutschsprechen herzustellen. Im Gegenteil, wissenschaftliche Untersuchungen der Universitäten Marburg und München zeigen, dass Kinder, die sowohl Hochdeutsch als auch Dialekt sprechen und fähig sind, zwischen den beiden Sprachen zu wechseln, ein höheres Intelligenzwachstum aufweisen. Dies steht im Einklang mit den Untersuchungen der US-amerikanischen National Academy of Sciences zur Zweisprachigkeit.
Eines kommt noch hinzu. Unser Dialekt ist ursprünglich und wohlklingend. In ihm finden sich die Eigenarten, das Wesen und die liebenswerten Schrullen der Menschen unserer Region wieder. Un user „Platt“ is eenfach scheen!
Joachim Franzmam