Karikatur: Thomas Plaßmann.
Fehlt der Mut zu unangenehmen Entscheidungen?
BAD SOBERNHEIM. Wie viele Kommunen in Rheinland-Pfalz ist auch die Stadt Bad Sobernheim derzeit erneut – vergleichbar mit der Zeit der Bankenkrise 2008/2009 – auf dem Weg in die Überschuldung. Das Eigenkapital schrumpft, eine freie Finanzspitze ist nicht in Sicht, Lücken werden über neue Kassenkredite, also überzogene Girokonten gestopft. Welchen finanziellen Handlungsspielraum haben Kommunen in Krisenzeiten überhaupt noch? Ein Gespräch mit René Quante, Geschäftsführer des Steuerzahlerbundes Rheinland-Pfalz.
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Herr Quante, die Kommunalaufsicht hat der Stadt Bad Sobernheim in ihrem Begleitschreiben zum Doppelhaushalt für 2021/2022 regelrecht die Leviten gelesen: Verbrauch von Eigenkapital, Fragezeichen am Stellenplan und fragwürdige freiwillige Leistungen lassen die Behörde zur Bewertung kommen, der Haushalt sei rechtswidrig. Den Haushalt 2021 hat sie dann aber doch genehmigt. Für 2022 fordert sie, Einnahmen zu generieren. Alles also halb so wild? Wie bewerten Sie das Schreiben?
René Quante: Die von der Kommunalaufsicht aufgelisteten Problemfelder sind gravierend – doch leider ist Bad Sobernheim in Rheinland-Pfalz kein Einzelfall. Allerdings begründet sich die Genehmigung des Haushalts 2021 mit einer Ausnahmeregelung aufgrund der Corona-Krise. Die Kommunalaufsicht kann kritisieren, darf aber nicht förmlich beanstanden. Das ist so, als würde man vorsätzlich falsch parken, aber kein Knöllchen bekommen. Und ob für das Jahr 2022 nicht auch eine Ausnahmeregelung erlassen wird, bleibt abzuwarten.
Die Kommunalaufsicht – ein zahlloser Papiertiger?
Die Kommunalaufsicht ein zahnloser Papiertiger also?
René Quante: Nein, das wäre zu hart. Die Kommunalaufsicht hat einfach eine pandemie-bedingte Sondersituation zu berücksichtigen. Der Bund und das Land Rheinland-Pfalz nehmen deswegen Milliarden an neuen Schulden auf. Wie könnte man da von den Kommunen erwarten, dass sie trotz massiver Steuereinbrüche und Sonderausgaben einen schnellen Haushaltsausgleich schaffen? Das funktioniert so nicht.
Sind den Kommunen durch Corona und sinkende Gewerbesteuer-Einnahmen finanzpolitisch die Hände gebunden? Wo verbleibt noch Spielraum?
René Quante: Die Steuereinnahmen sind krisenbedingt eingebrochen – aber ich bin guter Dinge, dass wir in ein bis zwei Jahren nach der Krise wieder auf dem alten Niveau sein werden. Bis dahin ist es völlig legitim, vorrübergehend neue Schulden aufzunehmen, anstatt Wucher-Hebesätze zu beschließen oder das letzte Schwimmbad dicht zu machen.
Wo hakt es zudem im kommunalen Finanzausgleich?
René Quante: Unsere Kommunen leiden seit rund 15 Jahren an verfassungswidrigen kommunalen Finanzausgleichen. Das Hauptproblem ist, dass wir kein aufgaben- und bedarfsorientiertes System haben. Den Kommunen werden vom Bund und Land teure Aufgaben übertragen, aktuelles Beispiel Kita-Zukunftsgesetz. Aber wenn deren Finanzierung nicht auskömmlich ist, müssen Steuern erhöht, freiwillige Ausgaben gestrichen und/oder neue Schulden aufgenommen werden. Deswegen setzt sich der Steuerzahlerbund seit Jahren für eine strikte Anwendung des Konnexitätsprinzips ein: Wer bestellt, muss bezahlen.
Mit Steuererhöhungen ist kein Blumentopf zu gewinnen
Nochmal Beispiel Bad Sobernheim: Die Stadt leistet sich freiwillige Ausgaben, ohne neue Einnahmeoptionen zu generieren. Könnte man nicht argumentieren: Wer seinen Bürgern soziale Annehmlichkeiten zur Verfügung stellt, sollte zum Beispiel über die Grundsteuer B oder die Gewerbesteuer einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung einfordern?
René Quante: Ob eine Stadt freiwillige Ausgaben durch höhere Steuern oder Einsparungen an anderer Stelle im Haushalt gegenfinanziert, obliegt der Entscheidung des Rates im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung. Doch Steuern sind per Definition nicht zweckgebunden. Insofern kann eine Steuer A auch nicht unmittelbar eine Ausgabe B finanzieren.
Fehlt den politischen Verantwortungsträgern der Mut zu unangenehmen Entscheidungen? Der Bürgermeister von Bad Sobernheim zum Beispiel schob jüngst im Haupt- und Finanzausschuss der Stadt den Fraktionen den schwarzen Peter zu: Wer Steuererhöhungen wolle, solle entsprechende Anträge stellen …
René Quante: Mit dem Wunsch nach kommunalen Steuererhöhungen gewinnt kein Politiker einen Blumentopf. Allerdings obliegt es so oder so der Entscheidung des Rates, eine Steuererhöhung zu beschließen oder eben nicht – egal, von wem der Antrag gestellt wird. Angesichts der besonderen Krisenlage halten wir es jedoch für überflüssig, die Grundsteuer oder Gewerbesteuer zu erhöhen.
„Man kann sich darüber freuen, wenn man nur bis an die Stadtgrenze zu denken vermag.“
Weniger Gewerbesteuer-Einnahmen bedeuten weniger Umlage an die übergeordneten Gebietskörperschaften, Verbandsgemeinde und Landkreis. Für die Stadtspitze in Bad Sobernheim ist das – so die Darstellung im Haupt- und Finanzausschuss – eine Erfolgsmeldung. Was denken Sie über diese vermeintliche Verbesserung der Ausgabesituation?
René Quante: Man kann sich darüber freuen, wenn man nur bis an die Stadtgrenze zu denken vermag. Aber auch ein Landkreis hat vielfältige wie wichtige Aufgaben zu erledigen, die solide finanziert werden müssen. Ein hochverschuldeter Landkreis ist nicht besser oder schlechter als eine hochverschuldete Stadt.
Verbandsgemeinden und Landkreise könnten theoretisch ihre Einnahmen über die Umlage erhöhen. Was können Kommunen wie die Stadt Bad Sobernheim tun, um ihre Kassenlage zu verbessern, wenn die Räte Steuererhöhungen scheuen wie der Teufel das Weihwasser?
René Quante: Sparen und mehr Effizienz in der kommunalen Aufgabenerfüllung helfen ebenfalls dabei, die Kassenlage zu verbessern. Dazu hat der Steuerzahlerbund sogar einen Ratgeber für Kommunalpolitiker neu aufgelegt. Allerdings ist auch uns klar, beides alleine kann in einer außergewöhnlichen Krisensituation wie der Corona-Pandemie nicht für eine schwarze Null sorgen.
Wie bewerten Sie aus Sicht des Steuerzahlerbundes den Bau eines Fußballplatzes durch die Stadt Bad Sobernheim mitten im Überschwemmungsgebiet der Nahe?
René Quante: Mir ist schleierhaft, wieso die Stadt unbedingt im Hochwassergebiet einen Fußballplatz haben will. Immerhin wurde der Rasenplatz in der Vergangenheit bereits zweimal überschwemmt. Gibt es in Bad Sobernheim wirklich keine besseren Standorte?
Die Fragen stellte Simone Mager.
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