MEISENHEIM. Verirrte Post an die alte Adresse des Meisenheimer Evangelischen Kindergartens Hinter der Hofstadt 2 hat Erinnerungen an eine Institution geweckt, die mehr Verwahranstalt als pädagogische Einrichtung war. Stadtführerin Renate Gilcher erzählt von ihrer Kindergartenzeit.
Die älteren Meisenheimer werden sich noch erinnern: Hinter der Hofstatt 2 residierte bis Anfang / Mitte der 1970er Jahre der Meisenheimer Kindergarten. Seit 1898 war das 1882 erbaute Gebäude als Kinderbetreuungseinrichtung genutzt worden. Dann zog die Einrichtung in den Neubau in der Präses-Held-Straße um. Im historischen Gebäude sind seither zwei Ärzte ansässig gewesen. Heute nutzt Frank Schmidt das Anwesen als Büro für seine Werbe- und Designagentur.
Schwester Maria und die Kellertreppe im alten Kindergarten in Meisenheim
Eine Zeitschrift landete kürzlich im Briefkasten Hinter der Hofstatt 2, adressiert an den Kindergarten der Verbandsgemeinde. Frank Schmidts Ehefrau Julia machte das Adressetikett in einer Gruppe in den Sozialen Medien öffentlich – und es sprudelte Erinnerungen. Renate Gilcher zum Beispiel, Stadtführerin in Meisenheim, ist die Zeit in diesem Kindergarten noch sehr präsent. Das sei eher eine Aufbewahrungsanstalt als eine pädagogische Betreuungseinrichtung gewesen, berichtet sie. „Ich kam im Alter von zwei Jahren im Jahr 1955 in den Kindergarten. Meine Eltern hatten damals eine Bäckerei und ein Café. Ich war schon früh ‚sauber‘ und so wurde ich in den Kindergarten geschickt“, schildert Gilcher. Noch heute erinnert sich sie sich gut an den Namen der Diakonissin, die sie damals betreut hat. Schwester Maria war ihr Name. „Schwester Maria und ihre Helferin Bärbel Meier haben uns damals beschäftigt. Wer sich nicht zu benehmen wusste, kam auf die berühmt-berüchtigte ‚Kellertrepp‘. Tür auf, Kind in den dunklen Keller-Zugang, Tür zu“, schildert Gilcher die harschen Disziplinierungsmethoden.
Ruhe-Stunde mit Kopf auf dem Tisch
Am Nachmittag gab es in der Einrichtung eine so genannte Ruhe-Stunde: „Die Kinder saßen an Tischen und mussten Arme und Kopf auf den Tisch legen. Wer lachte oder mit anderen flüsterte, bekam ein Tuch über den Kopf gelegt. Ich erinnere mich, dass ich sogar einmal eingeschlafen bin und das furchtbar peinlich fand. Die anderen saßen schon zum Spielen im Stuhlkreis und ich war eingeschlafen“, gesteht Renate Gilcher.
Draußen im Hof nutzten die Kinder einen Sandkasten, eine Wippe und später eine Schaukel, beschreibt die Stadtführerin. Vier Kinder hatten in der Schaukel Platz. Doch schaukeln durfte eben nur, wer brav war und auch nur für zwei bis drei Minuten. „An der Sandsteinmauer rund um den Hof haben wir manchmal mit einem Stein ‚Puderzucker‘ abgekratzt“, beschreibt Gilcher die einfachen Spiele in der Einrichtung. Eine der schönsten Erinnerungen ist für Renate Gilcher der gemeinsame Kindergarten-Ausflug zur Opel Wiese im Soonwald als Abschluss kurz vor der Einschulung im Jahr 1960.
Im Obergeschoss des Gebäudes wohnten die Gemeindeschwestern. Renate Gilcher erinnert sich an Schwester Frida und Schwester Anneliese. Letztere war immer mit dem Fahrrad unterwegs und fuhr in die Dörfer zu den Kranken. Sie arbeitete Ende der 1970er Jahren im Diakonie Krankenhaus in Bad Kreuznach als Stationsschwester. Von ihrem guten Draht nach Meisenheim profitierte einmal Renate Gilchers Sohn, der während eines Krankenhausaufenthalts von Schwester Anneliese betreut wurde. Wegen der strengen Besuchszeiten ließ Schwester Anneliese Renate Gilcher jederzeit anrufen und sich nach ihrem Sohn zu erkundigen. „Er hatte Vertrauen zur Schwester Anneliese, die ja die Mama noch als Kind kannte. Ihm schmeckte allerdings der Tee in der Diakonie nicht und da sagte er einmal zu Ihr: ‚Schwester Anneliese, beim nächsten Mal trinken wir aber den Tee, den ich zu Hause immer trinke‘, plaudert Renate Gilcher aus dem Nähkästchen.
Das „Kinder-Asyl“ in Meisenheim und seine Baugeschichte
Das Gebäude Hinter der Hofstadt 2 wird in einem Beitrag in Meinhold Lurz Buch „Meisenheim – Architektur und Stadtentwicklung“ als ehemaliges „Kinder-Asyl“ und als „Blickfang in der Kurve“ der Straße bezeichnet. Der Baustil ist neugotisch, die Fensterleibbungen im gotischen Stil errichtet. Charakteristisch sind zwei Drillingsfenster mit überhöhtem Mittelteil im Obergeschoss. Mit dem benachbarten Krankenhaus, das 1890 entstanden ist, bildete das „Kinder-Asyl“ einen funktionellen und architektonischen Zusammenhang im Meisenheim Ende des 19. Jahrhunderts. Ein größerer Umbau des Gebäudes erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Autor urteilt über das Haus: „An seiner Erhaltung und Pflege besteht aus künstlerischen und städtebaulichen Gründen sowie zur Belegung und Werterhöhung der Umwelt ein öffentliches Interesse.“